Besser unterrichten, Lernbienen kennenlernen

Wie klappt Werkstatt-Unterricht?

Eigenständig arbeiten die Kinder an ihren Stationen. Eine verspielt-gespannte Stimmung liegt in der Luft. Jeder lernt in seinem Tempo. Das ist das Ideal von Werkstatt-Unterricht. Wie er gelingt, verrät Lernbiene-Autorin und Werkstatt-Expertin Annette Holl im Interview.

Interview mit Lernbiene-Autorin und Werkstatt-Expertin Annette Holl


Annette Holl lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bonndorf im Schwarzwald. Hauptberuflich arbeitet sie dort an einer kleinen Grundschule. Ihr Ziel: Alle Ihre Schülerinnen und Schüler sollen auf sich und ihre Begabungen stolz sein. Ihre Überzeugung: Das klappt am besten mit offenen Unterrichtsformen, vor allem mit Werkstätten. Die Werkstatt-Expertin hat für die Lernbiene unter anderem die Lernwerkstätten „Die kleine Benimm-Schule“ und „Uhren & mehr – Zeitforscher unterwegs“ geschrieben.


Lernbiene: Frau Holl, was ist eine Werkstatt?

Annette Holl: Eine Werkstatt ist eine offene Unterrichtsform, die aus unterschiedlichen Stationen zu einem Thema besteht. An jeder Station bekommen die Kinder zu einem Teilbereich des Themas Arbeitsaufträge. Sie erledigen die Aufgaben selbstständig in wechselnden Sozialformen (Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit). Die erledigten Stationen haken sie auf einem Laufzettel ab. Ich selbst bin als Lehrerin nicht für inhaltlichen Input zuständig, sondern bringe mich im Hintergrund als helfende und unterstützende Hand ein.

Lernbiene: Was bringt Werkstatt-Unterricht im Vergleich zu z. B. Frontalunterricht, Freiarbeit oder Projektarbeit? Was ist also das Besondere daran?

Annette Holl: Im Gegensatz zum Frontalunterricht sind die Kinder beim Werkstattunterricht weniger auf mich angewiesen. Das steigert die Motivation immens und fördert die Selbstständigkeit. Oft können die Schülerinnen und Schüler zusammenarbeiten, was der Kontaktfreudigkeit der meisten Kinder entspricht. Nicht zuletzt steigen durch Werkstattunterricht die sozialen Kompetenzen, weil die Kinder sich bei den Aufgaben gegenseitig helfen können.

Das geht natürlich auch bei der Freiarbeit. Während diese aber ausschließlich der Übung und Vertiefung dient, beinhaltet eine Werkstatt auch Aufgaben, die neues Wissen transportieren, z. B. Sachtexte mit Verständnisfragen. Im Gegensatz zur Freiarbeit beschränkt sich eine Werkstatt außerdem auf ein Thema, das die Kinder anhand des Laufzettels systematisch und umfassend erarbeiten. Die Werkstatt steht den Schülerinnen und Schülern nur eine gewisse Zeit, z. B. vier Wochen, zur Verfügung. Im Vergleich zum offenen Ziel einer Projektarbeit bietet eine Werkstatt einen klar vorgegebenen Rahmen. Dadurch werden die Kinder zum systematischen Arbeiten angeregt und es passiert weniger Unvorhergesehenes für mich („Wo bekomme ich jetzt auf die Schnelle einen Akkuschrauber her?“).

Lernbiene: Wie ist eine Werkstatt aufgebaut?

Annette Holl: Eine Werkstatt besteht aus durchnummerierten Stationsblättern mit vielfältigen Materialien und Auftragskarten mit Aufgabenstellungen in unterschiedlichen Methoden. Für Stationen mit einer eindeutigen Lösung gibt es Lösungsblätter zur Selbstkontrolle der Kinder oder für die Hand der Lehrkraft, wenn diese lieber selbst kontrollieren möchte. Außerdem liegt ein Laufzettel für die Kinder bei. Wichtig bei gekauften Werkstätten sind die Erläuterungen für die Lehrkraft. In guten Verlagsmaterialien dürfen sie nicht fehlen. Zu vielen Werkstätten gibt es einen Anhang mit Zusatzmaterialien für einen gemeinsamen Abschluss der Einheit, z. B. Bastel-Extras, Ideen für Veranstaltungen, ein Spiel oder Ähnliches.

Lernbiene: Was muss man für eine Lernwerkstatt als Lehrerin oder Lehrer vorbereiten?

Annette Holl: Das ist vorab einiges, dafür dann aber weniger, während die Kinder an den Stationen arbeiten. Nachdem ich die Werkstatt selbst durchgearbeitet und dabei oft noch eigene Aufgaben in die Lernwerkstätten der Verlage eingebaut habe, kopiere ich alle Stationsblätter und den Laufzettel in Klassenstärke. Spiele kopiere ich mindestens in doppelter Ausführung und laminiere sie zur besseren Haltbarkeit, Auftragskarten kopiere ich nur einmal. Damit die Kinder ihre Ergebnisse eigenständig an der Lösungsstation kontrollieren können, kopiere ich die Lösungen je nach Klassengröße etwa in doppelter Ausführung und hefte sie in getrennten Ordnern ab. Alternativ hänge ich die Lösungen bei kleinen Klassen in die geschlossene Tafel. So können die Schülerinnen und Schüler ihre Lösungen dann selbst kontrollieren. Ggf. muss ich außerdem noch zusätzliche Materialien zusammensuchen.

Zusätzlich muss ich organisieren, wie ich den Kindern die Werkstatt anbiete. Ich arbeite mit Plastikboxen, die ich in Anzahl der Stationen durchnummeriere. Jede Station hat so ihre eigene Box, in der ich das Stationsblatt in Klassenstärke und ggf. die jeweiligen Materialien bereitlege. Auf dem Deckel der Box klebt die Auftragskarte. Die Boxen verteile ich auf den Fensterbänken oder breite sie im Flur auf zusätzlichen Tischen aus, wenn ich mehr Platz brauche (hierzu informiere ich die Kolleginnen und Kollegen). Eine andere Form der Aufbewahrung bieten z. B. Ablagen aus Plastik, die man übereinanderstapeln kann, oder an Kleiderbügel gehängte Klarsichthüllen, Stehsammler aus Pappe, Buchständer oder an eine Wäscheleine aufgehängte Auftragskarten.

„Ich finde es wichtig, eine Plattform zu bieten, auf der sich die Kinder der Gemeinschaft präsentieren können und Wertschätzung für ihre Arbeit erfahren.“

Lernbiene: Wie läuft Werkstattlernen ab?

Annette Holl: In der Regel arbeiten die Kinder während mehrerer Wochen an einer Werkstatt. Wir vereinbaren hierzu feste Zeiten, z. B. in allen Sachunterrichtsstunden oder während drei von fünf Mathematikstunden. In einem einleitenden Gespräch vor der ersten Arbeitsphase klären wir Organisatorisches: Wo hake ich Erledigtes auf dem Laufzettel ab? Wo sammle ich meine Ergebnisse? Wann kann ich sie präsentieren? Usw.

Vor Beginn steige ich normalerweise mit einem zum Thema passenden Lied, einem Bewegungsspiel oder auch einem kleinen Quiz zum Thema ein. Danach arbeiten die Kinder an den Stationen. In manchen Werkstätten können sie die Stationen in beliebiger Reihenfolge bearbeiten, andere sind chronologisch geordnet. Immer arbeiten sie aber in ihrem eigenen Tempo. Die Kinder können an ihrem Platz, auf dem Boden, in der Leseecke oder im Flur arbeiten, wenn sie z. B. für ein Spiel oder eine Gestaltungsaufgabe mehr Platz oder bei einer Gruppenaufgabe die Möglichkeit zum lauteren Sprechen brauchen.

Ich lege Wert darauf, dass die freie Phase gemeinsam beendet wird. Deshalb gibt es nach jeder Werkstattphase eine Reflexionsrunde im Sitzkreis, während der meine Schülerinnen und Schüler berichten, woran sie gearbeitet haben. Außerdem legen wir hier Termine für die Präsentation von Ergebnissen aus bastel- oder handlungsorientierten Stationen fest. Ich finde es wichtig, eine Plattform zu bieten, auf der sich die Kinder der Gemeinschaft präsentieren können und Wertschätzung für ihre Arbeit erfahren.

Lernbiene: Welche Rolle haben die Lehrerin oder der Lehrer während des Werkstattlernens?

Annettte Holl: Sie sind während der Arbeitsphase als Ansprechpartner da. Wenn nötig unterstütze ich ein Kind oder gebe einem Team, das Schwierigkeiten hat, hilfestellende Impulse. Damit sich keine Fehler einschleichen, ist es wichtig, die Ergebnisse zu kontrollieren – trotz eigenständiger Kontrolle an der Lösungsstation. Entweder erledige ich das direkt im Unterricht oder ich korrigiere von Zeit zu Zeit eine größere Menge. Wenn die Kinder die Werkstatt abgeschlossen haben, bewerte ich diese hinsichtlich der Menge an erledigten Aufgaben sowie der Ordentlichkeit und der Darstellung. Es ist möglich, eine Werkstattmappe als (zusätzliche) Klassenarbeit zu bewerten.

Lernbiene: Welche Probleme kann es geben und wie kann ich sie lösen?

Annette Holl: Wenn bei den Stationen keine chronologische Reihenfolge vorgegeben ist, kann es vorkommen, dass Kinder viel Zeit mit dem Aussuchen der Aufgaben vertrödeln und in manchen Arbeitsphasen nur wenig erledigen. Andere verzetteln sich unnötig lange an einer Aufgabe, bevor sie Hilfe bei mir suchen. Teilweise lesen Schülerinnen und Schüler die Aufgaben nur ungenau und machen dann nur einen Teil der Arbeit. In diesen Fällen rede ich mit den Kindern darüber. Wenn es Streitereien bei Partner- oder Gruppenarbeiten gibt, muss ich außerdem manchmal bestimmte Konstellationen trennen.

Zeitweise kann auch eine unangemessene Lautstärke entstehen. Mangelnde Achtsamkeit beim Umgang mit den Materialien und beim Aufräumen können verhindern, dass das nächste Kind sofort mit der Arbeit beginnen kann. So etwas kläre ich im Reflexionskreis.

Möglicherweise bereitet eine Station mehreren Kindern Probleme. Dann kann es nötig sein, Stationsblätter in verschiedenen Schwierigkeitsgraden anzubieten oder einen Arbeitsauftrag komplett zu streichen.

„Gute Lernmaterialien decken (…) verschiedene Sozialformen ab, z. B. Einzel- und Partnerarbeit, sowie vielfältige Arbeitsmethoden, z. B. sinnerfassendes Lesen, basteln und experimentieren.“

Lernbiene: Woran erkennt man eine gute Werkstatt?

Annette Holl: Die Aufgaben sollten so aufgebaut sein, dass jeder unabhängig vom Lerntempo ein Basiswissen zum Thema erreichen kann. Dafür ist es wichtig, dass die Kinder in der Werkstatt Aufgaben in unterschiedlichen Niveaus vorfinden. Dass es zum einen wirklich anspruchsvolle Aufgaben gibt, die bestimmt nur von einigen Kindern bearbeitet werden, und zum anderen auch Angebote, die einfach nur Spaß machen. Gute Lernmaterialien decken außerdem verschiedene Sozialformen ab, z. B. Einzel- und Partnerarbeit, sowie vielfältige Arbeitsmethoden, z. B. sinnerfassendes Lesen, basteln und experimentieren. Und sie berücksichtigen die unterschiedlichen Lerntypen. Dass man gerade mit einer guten Werkstatt arbeitet, merkt man nicht zuletzt an den strahlenden Augen der Kinder. Das macht dann richtig Spaß!

Lernbiene: Wir danken Ihnen für das Gespräch!

Noch mehr Informationen, Tipps und Tricks zum Thema Werkstattunterricht finden Sie in Annette Holls Mini-Ratgeber „Wie klappt Werktstattunterricht?“

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