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So gelingt Gruppenarbeit in der Grundschule

Gruppenarbeit ist eine beliebte Sozialform im Unterricht, um Schüler*innen in der Grundschule nicht nur fachlich, sondern auch sozial zu fördern. Indem sie in kleinen Gruppen zusammenarbeiten, lernen die Kinder wichtige Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Kommunikation und kritisches Denken. Doch damit Gruppenarbeit erfolgreich und effektiv wird, bedarf es einer sorgfältigen Planung und strukturierten Umsetzung. Annette Holl, Autorin und selbst Grundschullehrerin, gibt uns im Interview einen Einblick, wie Gruppenarbeit im Unterricht gelingen kann und welche Erfahrungen sie selbst bei der Planung und Durchführung gemacht hat.

Lernbiene: Liebe Frau Holl, wie bei so vielem gilt auch bei der Wahl der „richtigen“ Sozialform im Unterricht die Regel: Es gibt nicht DIE beste Sozialform. Egal, ob Einzel- oder Partnerarbeit, Gruppenarbeit oder Frontalunterricht – jede Form hat ihre Daseinsberechtigung und bringt gewisse Vorteile mit sich.
Welche Argumente sprechen für die Gruppenarbeit und wie würden Sie den Nutzen von Gruppenarbeit in der Grundschule beschreiben?

Annette Holl: Neben dem klassischen Frontalunterricht arbeiten die Grundschulkinder heutzutage oft mit Wochenplänen, mit Werkstätten, an Stationen oder mit Freiarbeitsmaterialien.
All diese Sozialformen haben gemeinsam, dass die Kinder in Einzel- oder Partnerarbeit tätig sind. Bei der Gruppenarbeit hingegen müssen die Kinder sich mit mehreren Teammitgliedern in den Austausch begeben. Sie trainieren sich dabei in ihrer sprachlichen Ausdrucksfähigkeit, wenn sie erklären, besprechen und argumentieren. Sie lernen Kompromisse einzugehen oder auch auf ihrem eigenen Standpunkt zu beharren. Nicht zuletzt geht es in einer Gruppenarbeitsphase auch um das Warten lernen und das Akzeptieren eigener Grenzen und Fähigkeiten. Ein ganz zentraler Bereich ist das Helfen und im Gegenzug auch das Hilfe-Annehmen von anderen.
Dies alles sind Schlüsselqualifikationen, die sowohl in den weiterführenden Schulen und im Berufsleben heutzutage eine zentrale Rolle spielen.
Aber nicht nur im Hinblick auf später, sondern auch in Bezug auf den laufenden Unterricht in einer Klasse hat die Gruppenarbeit einen hohen Nutzwert. So wird die Lernmotivation der Kinder gesteigert, weil Lerninhalte nicht nur passiv konsumiert werden, sondern eigene Ideen eingebracht werden können. Der Heterogenität im Klassenzimmer wird Rechnung getragen, da in einer Gruppenarbeit jedes Kind mit seinen ganz eigenen Fähigkeiten punkten kann. Während das eine Kind sich beim Präsentieren eher zurückhält, aber dafür mit wunderschöner Schrift das Plakat gestaltet, stellt das andere in eloquenter Weise das Arbeitsergebnis vor, hält sich aber beim Ausarbeiten zurück.
Gruppenarbeiten sind außerdem sehr gut für altersgemischte Lerngruppen in kombinierten Klassen oder auch für Klassen geeignet, in denen hochbegabte Schüler*innen auf sehr schwache Lerner*innen treffen. Für jedes Kind kann eine niveauangepasste Lernaufgabe gefunden werden.

Lernbiene: Sie haben eben schon einige Vorteile von Gruppenarbeit angesprochen – unter anderem den Austausch, der während einer Gruppenarbeit zwischen den Kindern stattfindet. Doch führt die rege Kommunikation nicht häufig auch dazu, dass es zu Unruhe im Klassenraum kommt und einige Kinder stören oder sich nicht aktiv in die Gruppe mit einbringen?
Wie gelingt es Ihnen, dass eine Gruppenarbeit nicht aus dem Ruder läuft?

Annette Holl: Oh ja, in einer Gruppenarbeitsphase kann es mitunter recht laut werden. Allerdings sollte man als Lehrkraft genau hinhören, ob es sich bei den Gesprächen lediglich um eine „produktive Unruhe“ handelt, weil die Kinder hochmotiviert und im Übereifer laut und hektisch reden und vielleicht etwas wilder umherwuseln als sonst oder ob es sich tatsächlich um Gespräche handelt, die nichts mit der eigentlichen Aufgabenstellung zu tun haben.
Sicherlich kann die Lehrkraft aber schon im Vorfeld und während der Gruppenarbeitsphase dafür sorgen, dass die Kinder in einer für alle Beteiligten angenehmen Atmosphäre lernen und arbeiten können.

So ist es wichtig, dass der Klasse ein Regelwerk bekannt ist, um für einen möglichst reibungslosen Ablauf von Gruppenarbeiten zu sorgen. Dieses wird im Optimalfall in einem Gespräch gemeinsam mit den Kindern erarbeitet. Erfahrungsgemäß führt es zu einer höheren Akzeptanz der Regeln, wenn man an deren Formulierung selbst beteiligt ist. Einigen Sie sich auf eine Anzahl von etwa fünf Regeln, die dann am besten für alle sichtbar auf einem Plakat im Klassenraum hängen (z.B. Wir lachen niemanden aus. Wir räumen unsere Materialien weg. Wir unterhalten uns im Flüsterton. Wir hören einander zu. Wir gehen bei Fragen leise zur Lehrkraft.) Die Einhaltung der Regeln muss von Beginn an konsequent eingefordert werden.
Beim Auftreten von häufigen Regelüberschreitungen kann es hilfreich sein, während einer Gruppenarbeit zwei, drei Regeln besonders ins Visier zu nehmen und danach im Gespräch zu reflektieren, woran es hakte und wie es zukünftig besser laufen kann. Ggf. muss die Lehrkraft auch einmal ein konsequentes Zeichen setzen und eine Gruppenarbeit abbrechen, um die Klasse dann am nächsten Tag mit besseren Vorsätzen einen Neustart wagen zu lassen.
Neben einem Regelkatalog ist es auch wichtig, dass die Kinder ausreichend Zeit (am besten eignen sich Doppelstunden) für ihre Gruppenarbeit haben, um nicht zu hektischem, oberflächlichem Arbeiten verleitet zu werden.
Zudem muss darauf geachtet werden, dass die Gruppen ein geeignetes Klassenzimmer vorfinden. Es sollte ohne zeitaufwändiges und lautes Umherschieben von Tischen und Stühlen geeignete Gruppenarbeitsplätze geben und möglicherweise benötigtes Material sollte in ausreichender Anzahl und greifbarer Nähe vorhanden sein. Vielleicht finden sich auf dem Flur zusätzliche Möglichkeiten oder ungenutzte Räume für Ausweicharbeitsplätze. Das kann sehr schnell für mehr Ruhe sorgen.

Lernbiene: Trotz noch so guter Vorbereitung und Planung kann es sicherlich dennoch passieren, dass die Zusammenarbeit in der Gruppe nicht immer nur harmonisch abläuft.
Wie gehen Sie mit Konflikten um, die während der Gruppenarbeit auftreten? Haben Sie spezifische Strategien, um Konflikte zu lösen und eine positive Gruppendynamik aufrechtzuerhalten?

Annette Holl: Oh ja, Gruppenarbeiten sind konfliktträchtig. Aber die meisten Probleme lassen sich beheben, wenn die Lehrkraft mit der gesamten Klasse regelmäßig über den Arbeitsprozess sowie die Ergebnisse der Gruppenarbeit reflektiert. Hierzu sollten regelmäßig zeitliche Puffer eingeplant werden und dann Fragen wie „Was hat bei euch im Team gut geklappt?“, „Wo gab es Probleme?“, „Hattet ihr genügend Zeit?“ besprochen werden. Außerdem sollte die Lehrkraft der Klasse oder einzelnen Teams eine ehrliche Rückmeldung über deren Arbeitsweise geben.
Dass Teams sich in Diskussionen verlieren, in Nebengespräche verfallen oder z.B. zu lange mit der Auswahl von Grafiken beschäftigt sind, lässt sich verhindern, indem die Lehrkraft klare Zeitvorgaben macht, während der Arbeitsphase immer wieder eine Zeitansage einwirft und sich ggf. bei ganz langsam arbeitenden Gruppen Zwischenergebnisse präsentieren lässt.
Immer wieder kommt es vor, dass einzelne Kinder nicht miteinander in ein Team möchten oder dass es zu Streitereien kommt. Häufig wird dann geraten, dass die Kinder ihre Gruppenmitglieder selbst auszuwählen sollen. Ich denke, dass dies phasenweise in Ordnung ist, um die Zusammenarbeit mit Freund*innen zu ermöglichen. Allerdings ist dies kein Allheilmittel gegen Konflikte. Denn es gibt in jeder Klasse Kinder, die dann am Ende alleine dastehen und doch in eine Gruppe mit hineingeschoben werden müssen, in die sie vielleicht nicht möchten. Außerdem ist es auch im Hinblick auf das „echte Leben“ nötig, dass den Schüler*innen zugemutet wird, in zufällig zusammengestellten (mittels gezogener Kärtchen oder durch Auszählen) oder von der Lehrkraft bewusst ausgewählten Teams, einfinden. Stichwort „Teamfähigkeit“…
Bei ernsthaften Konflikten in einem Team sollte die Lehrkraft moderierend eingreifen, z.B. einen Kompromiss vorschlagen oder im Extremfall Kinder aus einer Gruppe nehmen und einer anderen zuweisen.

Lernbiene: Ein häufiges Vorurteil ist, dass sich während einer Gruppenarbeitsphase die Lehrkraft entspannt zurücklehnen kann, während die Kinder arbeiten.
Wie reagieren Sie auf solche Aussagen?

Annette Holl: Jaja, die Mär von der „kaffeetrinkenden Lehrkraft, die während offener Arbeitsphasen Klassenarbeiten korrigiert oder aus dem Fenster blickt“ ist mir bekannt. Allerdings ist die Lehrkraft während einer Gruppenarbeitsphase keineswegs untätig. Im Gegenteil: Sie sollte immer den Überblick über den Arbeitsstand der einzelnen Gruppen haben. Außerdem die Teams mit Hilfestellungen begleiten, bei Streit helfend einschreiten oder auch mal zur Weiterarbeit ermuntern, falls eine Gruppe ins Stocken gerät oder der Frust einsetzt, weil etwas nicht klappt („Versucht es doch mal so.“, „Habt ihr das schon mal ausprobiert?“).
Zudem kann die Lehrkraft die Zeit nutzen, um im Hinblick auf Verhaltens- und Mitarbeitsnoten bzw. den Zeugnisbericht oder ein bevorstehendes Elterngespräch bewusst ein Team oder einzelnes Kind zu beobachten: Wer arbeitet konzentriert? Wer trödelt? Wer hilft? Wer verweigert sich?
Nicht zuletzt kann sie sich mit Kindern, über die es Beschwerden gab oder die in Streit geraten sind, zu einem Gespräch zusammensetzen und die Situation klären.

Lernbiene: In Ihrem Ratgeber „Das 1×1 für Gruppenarbeit in der Grundschule“ gehen Sie auf die unterschiedlichen Charaktere ein, die Kinder in einer Klasse mitbringen. So gibt es eher schüchtern-stille, dominant-laute, superaktive und bequeme Schüler*innen.
Wie kann man als Lehrkraft sicherstellen, dass die Verantwortlichkeiten innerhalb der Gruppe fair aufgeteilt werden?

Annette Holl: Ach du je! Was wäre das für eine langweilige oder leise oder laute Welt, wenn es nur „die einen“ oder „die anderen“ Charaktere gäbe? Aber ja, ich gebe zu: Bei einer Gruppenarbeit kann es allerdings herausfordernd sein, wenn die einen und die anderen Charaktere gemeinsam ein Ergebnis hervorbringen müssen. Die Lehrkraft sollte nicht krampfhaft versuchen, aus jedem Kind eine*n Teamplayer*in zu machen, die oder der sich mit größter Begeisterung äußerst eloquent und selbstverständlich sehr sozial in jede Gruppenarbeit wirft. Vielmehr sollte sie die Unterschiedlichkeit als gegeben hinnehmen und versuchen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, jedem einzelnen Kind ein Gefühl von „Ich kann das und bin wichtig für die Gruppe!“ zu geben. Deshalb sollte sie unbedingt ins Gespräch mit Kindern gehen, die andere zu sehr dominieren. Diese sollten in ihrem Redefluss und der etwas forschen Art etwas eingebremst werden.
Auf jeden Fall hilft es, wenn jedes Teammitglied je nach Aufgabenstellung und Größe der Gruppe zusätzlich zum allgemeinen Arbeitsauftrag eine bestimmte Rolle innehabt. So kann ein Kind als Zeitwächter*in fungieren, das andere die Materialien beschaffen, ein weiteres das Plakat beschriften und ein viertes die Präsentation vorbereiten. Damit verhindert man, dass einzelne Kinder sich zurücklehnen oder andere sämtliche Aufgaben an sich reißen. Häufig gelingt es zurückhaltenderen Schüler*innen sich in einer Kleingruppe etwas mehr zu öffnen, als sie es sich in der Großgruppe zutrauen. Zudem kann man versuchen, die etwas leiseren Teammitglieder behutsam zum Mitmachen animiert werden. Vielleicht kann ein stilleres Kind die Zettel an die Stellwand hängen oder eine eingeübte Textstelle vorlesen, während das lautere Gruppenmitglied die Ergebnisse mündlich und frei präsentiert.
An der Wesensart der Kinder sollte aber niemals herumgeschraubt werden und Bloßstellungen mit rotem Kopf und zitternden Knien oder gar der Zwang zum Präsentieren tunlichst vermieden werden! Ich bin mir sicher, dass jedes Kind mit seinen ureigenen Kompetenzen, Schwächen und Stärken zu einer effektiven Gruppenarbeit beitragen kann. Vertrauen Sie darauf!

Lernbiene: Liebe Frau Holl, vielen Dank für das Interview, die vielen Ratschläge und hilfreichen Tipps!

Bildquelle:
Kinder klatschen sich ab © JenkoAtaman_AdobeStock_526725371

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