Besser unterrichten, Souveräner Auftreten

So gelingt GUTER Frontalunterricht in der Grundschule

Frontalunterricht genießt keinen guten Ruf. Er wird als autoritär, veraltet und wenig kreativ angesehen. Viele assoziieren damit eine Lehrkraft, die stundenlang vor der Klasse spricht, während die Kinder in der Rolle der passiven Konsument*innen verharren. Annette Holl, Autorin und langjährige Grundschullehrerin, erläutert uns im Interview, warum der Frontalunterricht dennoch phasenweise im Unterricht seine Berechtigung hat, und gibt Tipps, wie ein guter Lehrkraftvortrag gelingen kann.

Lernbiene: Liebe Frau Holl, dem Frontalunterricht wird häufig nachgesagt, dass er nicht mehr zeitgemäß ist. Stattdessen werden häufig offene Unterrichtsformen mit „gutem“ Unterricht gleichgesetzt. Warum bzw. wann haben frontale Unterrichtsphasen aus Ihrer Sicht dennoch eine Daseinsberechtigung?

Annette Holl: Ganz spontan: Guter Unterricht ist ein Unterricht, der die Schüler*innen packt und in dem die Kinder in einer guten Atmosphäre lernen können. Meiner Meinung nach ist dies sowohl in offenen Unterrichtsformen als auch im Frontalunterricht möglich. „Anders unterrichten“ heißt nicht zwangsläufig „besser unterrichten.“ Je nach Thema oder auch Klassenzusammensetzung sind lehrer*innenzentrierte Phasen mit frontalem Input durchaus sinnvoll und die geeignete Unterrichtsmethode. So ist ein frontaler Input bei der Einführung eines neuen Unterrichtsthemas oder bei glasklaren Fakten wie zum Beispiel Daten von Ereignissen, Fachbegriffen absolut sinnvoll, weil alle Kinder so in kurzer Zeit auf einem ähnlichen Wissensstand sind. Und – egal, wie offen der weitere Unterricht auch verläuft, die Einführung oder der Abschluss einer Projekt- oder Werkstattphase erfolgt oftmals in einer frontalen Phase. Gleiches gilt auch für die Einführung eines neuen Rituals oder einer neuen Unterrichtsmethode.
In Lerngruppen, in denen etliche Kinder mit Besonderheiten wie z.B. ASS oder ADHS vertreten sind, in denen ein erhöhtes Unruhepotential besteht, oder auch solchen, in denen etliche Kinder mit Migrationshintergrund oder aus bildungsfernen Schichten sind, bietet sich Studien zufolge gelenkter Unterricht an.

Lernbiene: Wie kann es gelingen, die verschiedenen Lernstile und Bedürfnisse der Schüler*innen im Frontalunterricht zu berücksichtigen?

Annette Holl: Es ist mir wichtig zu betonen, dass Frontalunterricht nicht zwangsläufig bedeutet, dass alle Schüler*innen zur selben Zeit dasselbe machen – und zwar das, was die Lehrkraft will. Er kann an einigen Stellen offener gestaltet werden als man per se vermutet.
So können beispielsweise immer wieder mal (leistungsstärkere) Kinder die Einführung in ein Thema übernehmen. Auch das Einbeziehen der Lerngruppe in die Themenwahl für die nächste Unterrichtseinheit oder die Wahl der Sozialform („Machen wir heute Einzel- oder Teamarbeit?“) gibt einen Teil der Autorität an die Schüler*innen ab.
Zudem kann die Lehrkraft die Aufgaben doch in einen Pflicht- und Wahlbereich unterteilen und so für eine leichte Öffnung des Unterrichts sorgen. Um adäquat auf das Lernvermögen schnellerer Schüler*innen einzugehen, sollte sie Zusatzaufgaben zum Beispiel in Form eines „Ich-bin-fertig-Ordners“ parat haben (quantitative Differenzierung), die im Optimalfall in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden vorliegen (qualitative Differenzierung). So sind immer alle Kinder (auf ihrem Niveau) beschäftigt und leistungsschwächere Schüler*innen haben ausreichend Zeit für die Bearbeitung der Aufgaben.

Lernbiene: In Ihrem Ratgeber „So gelingt GUTER Frontalunterricht!“ gehen Sie unter anderem auch darauf ein, dass der Redevortrag der Lehrkraft eine zentrale Rolle spielt und dass eintönige und langatmige Monologe ermüden und dazu führen können, dass die Lernenden abdriften. Wie kann es Lehrkräften gelingen, dass die Schüler*innen bis zum Ende des Vortrags aufmerksam bleiben?

Annette Holl: Zunächst einmal ist es superwichtig, dass Sie einen Platz einnehmen, an dem alle Kinder Sie sehen können. Gehen Sie nicht „bedrohlich“ wie ein Tiger im Käfig umher, sondern bleiben Sie möglichst an einer Stelle stehen oder setzen Sie sich locker auf (nicht hinter) das Pult.
Reden Sie nicht, wenn Sie zum Beispiel beim Schreiben an die Tafel mit dem Rücken zur Klasse stehen. Vermeiden Sie außerdem Blicke Richtung Fenster oder Tür. Sie möchten ja nicht flüchten, sondern Ihre Klasse für das Fach oder Thema begeistern. Zeigen Sie dies, indem Sie beim Erzählen lächeln, mit Ihrer Gestik und Mimik spielen.
Sprechen Sie nicht „von oben herab“, sondern in einer kindgemäßen Sprache. Das heißt nicht, dass Sachverhalte verniedlicht werden (z.B. „Viereck“ statt „Quadrat“ zu sagen). Kinder wollen und sollen ernstgenommen werden (Schon meine Vorschulkinder können das schwierige Fachwort mit dem „Qu vorne“ aussprechen).
Achten Sie darauf, dass Sie mehrere Lernkanäle Ihrer Schüler*innen anregen, indem Sie viele Beispiele bringen und das Gesprochene, mit Bildern, einem Zitat, einem Film oder einem mitgebrachten Gegenstand visualisieren. Seien Sie sicher: Je bunter, skurriler oder auch provokativer etwas ist, desto interessierter werden Ihre Schüler*innen sich zeigen.
Driften einzelne Kinder dennoch ab oder wird es unruhig, so sollten Sie direkten Blickkontakt zu den Schüler*innen aufnehmen. Außerdem können Sie sich die Aufmerksamkeit zurückholen, indem Sie innehalten und komplett verstummen, bis alle wieder dabei sind. Alternativ kann eine Hördetektiv-Aufgabe („Zähle das Wort XY in meinem Vortrag.“ oder „Am Ende meines Vortrags solltest du die Antwort auf die Frage XY kennen.“) die Konzentration der Schüler*innen pushen.
Ach ja: Wussten Sie, dass die beste Podcastlänge für Erwachsene 18 Minuten beträgt? Beglücken Sie Ihre (Grundschul-)klasse also höchstens mit 10–15 Minuten Redezeit.

Lernbiene: Welche Rolle spielt die Einbeziehung von analogen und digitalen Medien und Technologie im Frontalunterricht?

Annette Holl: Ich denke, an vielen Schulen ist die gute alte Kreidetafel weiterhin DAS Unterrichtsmedium schlechthin. Aber in vielen Klassenräumen finden sich mittlerweile digitale Medien wie zum Beispiel interaktive Whiteboards, Beamer oder auch Dokumentenkameras. Alles absolut sinnvoll und hilfreich, um Vortragsphasen mit Bild und Ton mehrkanalig und somit effektiver zu gestalten.
Tablets mit Lernsoftware-Ausstattung und Internetzugang sollten Schüler*innen zugänglich gemacht werden, da sie auf moderne Art das Lernen bereichern – zum Beispiel durch Erklärvideos – und die Kinder fit für unsere technologisierte Berufswelt machen.
Nicht zuletzt hat uns die Pandemie gezeigt, dass guter Unterricht phasenweise durchaus auch im Homeschooling stattfinden kann, sofern die technischen Voraussetzungen auf Seiten der Schule sowie bei den Schüler*innen gegeben sind. Dann ist es zum Beispiel bei Krankheit eines Kindes oder wenn Lernlücken auftreten möglich, die frontale Inputphase durch ein vorproduziertes Lernvideo der Lehrkraft nach Hause zu verlagern. Dort kann dann im eigenen Lerntempo (Möglichkeit, auf Pause oder Wiederholung zu drücken) und zum selbstgewählten Zeitpunkt gelernt werden. Die Lehrkraft hat somit im Unterricht (mehr) Zeit für Fragen, Diskussionen und die individuelle Förderung, da sie die Inputphase überspringen kann.
Sie sehen auch hier wieder: Frontalunterricht ist also alles andere als „verstaubt und antiquiert“, wie einleitend geschildert. Er ist eine Unterrichtsform, die – modern interpretiert – durchaus ihre Berechtigung und einen hohen Nutzwert hat, wenn eine Lehrkraft erkennt, wie viel Offenheit und Schüler*innennähe in ihm stecken kann.

Lernbiene: Liebe Frau Holl, vielen Dank für das Interview und die hilfreichen Einblicke!

Bildquelle:
Kinder melden sich im Unterricht © contrastwerkstatt_AdobeStock_68213814

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