Entspannter in der Schule

Was Lehrer*Innen mit Angst vor dem Coronavirus hilft

Lehrerin unterrichtet ihre Klasse während der Corona-Krise mit Maske

Das Virus zirkuliert. Die Politik fordert, soziale Kontakte einzuschränken, doch Lehrerinnen und Lehrer können das nicht: Rein beruflich treffen sie oft mehrere hundert Menschen pro Woche. Verständlich, dass viele Lehrkräfte aktuell Angst vor einer Ansteckung haben und im Alltag großem Stress ausgesetzt sind. Die Psychologische Psychotherapeutin Susanne Reiter-Mäurer erklärt, was Lehrerinnen und Lehrer jetzt tun können, um – bei aller möglichen Vorsicht – dennoch etwas leichter mit der Situation umzugehen.

Interview mit der Psychologischen Psychotherapeutin Susanne Reiter-Mäurer

Lernbiene: Frau Reiter, könnten Sie sich bitte kurz vorstellen?

Susanne Reiter-Mäurer

Susanne Reiter-Mäurer: Gerne. Ich arbeite als Psychologische Psychotherapeutin im Fachbereich Verhaltenstherapie. Nach 14 Jahren beruflicher Tätigkeit in einer allgemeinpsychiatrischen Klinik eröffnete ich 2014 eine psychotherapeutische Kassenpraxis. Als Schwerpunkt in den letzten Jahren hat sich bei mir die Arbeit mit Personen ergeben, die unter Burn-out-Symptomen leiden. Privat habe ich zwei Kinder und bin begeisterte Reiterin.

Lernbiene: Einige Menschen leiden psychisch stark unter der Corona-Krise, andere kaum oder gar nicht. Wie kommt es, dass wir das so unterschiedlich wahrnehmen?

Susanne Reiter-Mäurer: Zunächst befinden sich die Menschen in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen. Manche sind sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich stark von der Krise betroffen, manche nur in einem Bereich, andere kaum. Privat leiden vor allem Familien mit Kindern, und hier insbesondere noch einmal alleinerziehende Mütter oder Väter, an den Einschränkungen und Sorgen um ihre Kinder. Aber auch ältere Menschen, die besondere Angst vor Ansteckung haben und deren oftmals bereits geringen sozialen Kontakte noch weiter eingeschränkt wurden sowie natürlich auch die Jugendlichen und die Kinder leiden an den Beschränkungen in verschiedenen Bereichen. In vielen Familien herrscht zudem aufgrund finanzieller Ängste eine bedrückende Atmosphäre, leider haben depressive Erkrankungen, Angsterkrankungen und aggressives Verhalten zugenommen.

Abgesehen davon, dass Menschen eben sehr unterschiedlich stark betroffen sind, spielt aber auch die Persönlichkeit eine große Rolle. Neben der unterschiedlichen genetischen Veranlagung lernen wir von klein auf mehr oder weniger gut Bewältigungsstrategien und Stressmanagement. In manchen Familien haben die Kinder gute Möglichkeiten zu erlernen, wie sie konstruktiv mit Problemen umgehen können, z. B. im zwischenmenschlichen Bereich oder in Bezug auf Lebensanforderungen und Anpassungsleistungen. Andere Kinder wiederum bekommen von zu Hause aus leider wenig entsprechendes Rüstzeug, teils erhalten sie zu wenig Anleitung oder Vorbildverhalten, teils werden sie überbehütet, sodass alle Probleme von ihnen ferngehalten werden. Oft verhalten sich Kinder in ihrem späteren Erwachsenenleben sehr ähnlich wie ihre Eltern; so ist zu beobachten, dass Mädchen spätestens im Erwachsenenalter häufig ebenfalls Angststörungen entwickeln, wenn ihre Mütter daran gelitten haben. Auch „innere Bewertungen“ werden gelernt und von den Bezugspersonen übernommen. Ganz vereinfacht gesagt, lernt man bereits in seiner Herkunftsfamilie, ob man später das Glas als „halb voll oder halb leer“ sieht. Daher ist die Vermittlung realistischer, tendenziell eher positiver Bewertungen mit Lösungs- und Bewältigungscharakter bereits im Kindesalter extrem wichtig. Auch in Extremsituationen wie der aktuellen Corona-Krise zeigt sich, wer damit möglichst funktional umgehen kann und wer es eben nicht lernen konnte.

Eine Blume bricht durch den Asphalt

Lernbiene: Manche Lehrkräfte berichten, dass die Stimmung an den Schulen aggressiver geworden ist. Das bezieht sich auch auf manche Eltern, die sich zum Beispiel nicht an Abstandsregeln oder Maskenpflicht halten wollen und ausfallend werden. Woher kommen psychologisch betrachtet die Aggressionen auf die Schutzmaßnahmen?

Susanne Reiter-Mäurer: Wahrscheinlich sind diese Aggressionen auf zwei verschiedene Ursachen zurückzuführen – wiederum abhängig von der Persönlichkeit und der Vorprägung der jeweiligen Personen. Wir haben zum einen den Personenkreis, der, auch wenn es aufgrund des aggressiven Verhaltens auf den ersten Blick nicht so aussieht, Angst hat. Angst, dass die Masken für die Kinder oder sie selbst gesundheitsschädlich sein können, Angst aus Überforderung mit der ganzen Situation, auch mittelbare Ängste wie, dass die Gesamtsituation ihren Kindern schaden könnte. Viele Personen reagieren bei Ängsten nicht rational, wissen oft gar nicht, dass sie Angst haben oder wovor. Gerade bei Ängsten, welche mit Gefühlen von Hilflosigkeit oder Ohnmacht einhergehen (und das ist eben bei Angst um die eigenen Kinder oft der Fall) kommt es aufgrund der emotionalen Überforderung oder auch aufgrund mangelnder sozialer Kompetenz dann zu aggressivem Verhalten. Tatsächlich kommt das den „Angstbeißern“ unter den Hunden sehr nahe. Auch diese haben eigentlich große Angst und sehen keinen Ausweg, sodass sie, um sich (oder ihre Jungen) zu schützen, um sich beißen.

Die andere Personengruppe sieht die Beschränkungen durch Corona als unsinnig an, fühlt sich durch die Maßnahmen bevormundet oder hat, meist aufgrund vorheriger schlimmer Auswirkungen der Beschränkungen (z. B. Existenzbedrohung, Arbeitsplatzverlust, finanzielle Sorgen, starke Einschränkungen des Freizeitlebens und sozialer Kontakte) eine „generelle Wut“ auf alle Corona-assoziierten Maßnahmen entwickelt. Da die eigentliche Entscheidungsträgerin, die Regierung im weitesten Sinne, nicht greifbar ist, werden die Wutaffekte (auch hier spielen oft Ohnmachtsgefühle eine Rolle) auf diejenigen übertragen, die angehalten sind, die Einhaltung der Maßnahmen zu überprüfen oder einzufordern. Und an dieser Stelle trifft es leider auch Sie als Lehrkräfte.

Lernbiene: Haben Sie einen Tipp, wie man konkret damit umgehen sollte, wenn man solchen Aggressionen ausgesetzt wird?

Susanne Reiter-Mäurer: Stellen Sie zunächst möglichst ruhig die Frage, was genau diejenige Person dazu bewegt, entweder keine Maske aufzuziehen oder den Abstand nicht einzuhalten. In dem Moment, in dem offene Fragen gestellt werden, kommt es zudem fast immer zu einer Deeskalation, da sich das Gegenüber ernst genommen fühlt. Sollte das aggressive Verhalten auf die Wut über die Corona-Maßnahmen zurückzuführen sein, wäre ein ruhiges und freundliches, aber gleichzeitig bestimmtes Verhalten mit dem Verweis darauf, dass Sie als Lehrperson lediglich offizielle Anweisungen durchsetzen müssen, zu empfehlen.

Versuchen Sie, sich nicht auf Provokationen einzulassen, zeigen Sie möglichst auch keine Angst.

(Susanne Reiter-Mäurer)

Versuchen Sie, sich nicht auf Provokationen einzulassen, zeigen Sie möglichst auch keine Angst. Verweisen Sie, wenn nötig, auf die Möglichkeit, sich an geeigneterer Stelle zu beschweren, z. B. bei der Schulleitung oder, noch besser, bei den Urheber*innen der Regeln. Im Notfall, falls Sie sich bedroht fühlen sollten, bitten Sie eine Kollegin oder einen Kollegen hinzu, damit Sie sich sicherer fühlen oder bieten Sie an, das Gespräch im Beisein der Schulleitung weiterzuführen. Falls Sie persönlich auch Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen haben, dürften Sie auch anmerken, dass die Überwachung der Einhaltung der Corona Regeln ja auch nicht unbedingt Ihre eigene Meinung widerspiegelt, wir uns aber in einer Gemeinschaft befinden, in der es Regeln zum Zusammenleben gibt, an denen Sie sich orientieren müssen. Lassen Sie sich nicht in eine Diskussion verwickeln, verweisen Sie darauf, dass dies nicht der Ort und die Zeit für Grundsatzdiskussionen ist und ggf. noch einmal darauf, an welche Stelle die Beschwerde gerichtet werden kann. Versuchen Sie stets, sich nicht persönlich in die Verantwortung nehmen zu lassen. Solange Sie in der Schule beruflich agieren, handeln Sie auf Anweisung dieser Institution, durch die Sie aber gleichzeitig auch geschützt werden.

Lernbiene: Gibt es etwas, das wir tun können, um anderen Menschen mit Angst vor dem Coronavirus zu helfen und sie zu unterstützen?

Susanne Reiter-Mäurer: Sehr gute Frage 🙂 Ich rate dazu, den Menschen, die an dieser Angst leiden, zu empfehlen, sich möglichst detailliert über Covid-19 zu informieren, vielleicht nicht nur in den allgemein bekannten Medien, sondern auch in Wissenschaftssendungen. Im Allgemeinen reduziert Wissen die Angst. Im Vergleich zum Beginn der Corona-Situation ist nun doch einiges bekannt und viele Fakten reduzieren auch die Angst. Zudem ist es sehr wichtig zu versuchen, sich nicht von anderen Menschen im Umfeld beeinflussen zu lassen, die eine Extremposition einnehmen, die also an übersteigerten Ängsten vor dem Virus leiden oder, im Gegensatz dazu, die Erkrankung bagatellisieren. Es gibt tatsächlich auch leider Personen, denen es Freude bereitet, Panik zu verbreiten.

Außerdem ist es sehr wichtig, dass Personen über ihre Ängste sprechen können. Zum einen aufgrund des Effekts, etwas „loszuwerden“, sich zu entlasten. Es ist immer ungünstig, etwas ständig im Kopf kreisen zu lassen, nur mit sich auszumachen oder zu versuchen, es zu verdrängen. Abgesehen vom positiven Effekt des Nach-Außen-Transportierens können Ängste auch durch sinnvolle und konstruktive Anregungen und Rückmeldungen des Gegenübers reduziert werden. Natürlich klappt das nur, wenn der/die Gesprächspartner*in auch eine vernünftige funktionale (und natürlich realistische) Sicht auf das jeweilige Angstthema hat und diese am besten noch mit Fakten untermauern kann. In der Psychotherapie gibt es spezielle Fragetechniken, um irrationale oder übersteigerte Ängste und Sorgen zu reduzieren. Zum Beispiel: Welche fundierten Gründe sprechen für und welche gegen das Eintreten der Sorge? Wie hoch ist die realistische Wahrscheinlichkeit, dass das jeweilige Ereignis eintreten wird u. v. a. m. Auch lässt man die Angstpatienten*innen „zu Ende denken“, sogar mit Worst-Case-Szenarien. Das Problem ist nämlich oft die diffuse Angst, welche durch ein Abbrechen des angstauslösenden Gedankens entsteht. Schaut man sich die angstinduzierende Situation in allen Facetten bis zu Ende an, stellt man oft fest, dass sie gar nicht so fürchterlich ist oder auch, dass es immer einen Ausweg gibt, nach dem Motto, wenn A, dann B, wenn C, dann D etc.

Der/die Gesprächspartner*in sollte sich bei dem Gespräch unbedingt verständnisvoll verhalten, den Zustand der Angst ernst nehmen, und dann eben das Ausmaß der Angst durch Hinterfragen der irrationalen Gedanken oder Überzeugungen und sinnvolle Informationen reduzieren. Oft erfolgt dann eine Art Umdenken. Der Respekt vor dem Thema ist noch vorhanden, aber keine übersteigerte Angst mehr.

Neben dem Informieren und dem Sprechen über das Thema sollte sich die ängstliche Person aber auch nicht pausenlos mit dem Angstthema beschäftigen.

(Susanne Reiter-Mäurer)

Neben dem Informieren und dem Sprechen über das Thema sollte sich die ängstliche Person aber auch nicht pausenlos mit dem Angstthema beschäftigen. Wenn es erstmal erzählt und bearbeitet ist, sollte man sich von diesem Thema ruhig eine Pause gönnen, am besten mit positiven Aktivitäten oder Ausruhen. Dazu können Sie die Person ermutigen. Falls das Angstthema „von alleine“ wiederkommt, helfen Unterbrechungstechniken. Manche Menschen zählen dazu im Kopf von 5 rückwärts (das geht unter Umständen auch gut in der Schule!), subtrahieren im Kopf, spielen „Stadt-Land-Fluss“, „Ich packe meinen Koffer“ o. Ä. Bei sehr heftigen Ängsten oder Panikattacken helfen oft Skills, die die Sinne einbeziehen, zum Beispiel an etwas Stinkendem wie z. B. Ammoniakstäbchen riechen, Tabasco in den Mund nehmen (aber unbedingt wieder ausspucken), eiskaltes Wasser trinken, Heavy Metal Musik hören u. v. m.

Wenn es sich tatsächlich um Angsterkrankungen handelt, ist allerdings schon eine Psychotherapie anzuraten; es gibt ja viele Formen von Ängsten und bei einigen ist auch eine (in der Therapie vorbereitete) Konfrontation mit der Angst auslösenden Situation erforderlich.

Was man nicht unterschätzen sollte, ist eine allgemein stress- und angstreduzierende Lebensweise. Dazu gehört gesundes Essen, ausreichend Schlaf, Meditieren oder Entspannung, genügend Ruhezeiten und Bewegung, raus in die Natur, sich ausreichend abgrenzen und nicht zu viel arbeiten.

Lernbiene: Frau Reiter, vielen Dank für das Interview!

Bildquellen: Beitragsbild: WavebreakMediaMicro/stock.adobe.com; Bild Susanne Reiter: privat; Bild Blume bricht durch den Asphalt: ipopba/stock.adobe.com

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